Predigtskizze Sonntag 21.7.19 - Heiliggeistkirche

Prof. Dr. Martin-Christian Mautner, Pfr.

1 Prolog

Durch das geöffnete Fenster fällt fahles Mondlicht in die Kammer. Ein Schreibtisch mit Kerze, darauf ein Stapel leerer Notenblätter, ein Blatt mit etlichen handschriftlichen Zeilen, ein Tintenfässchen, eine Schreibfeder, ein Hocker, der wahlweise zum nebenstehenden Clavichord gerückt werden kann.

Es ist ruhig im Haus - nur das leise Ticken der Standuhr im Gang dringt an sein Ohr.

Er steht am Fenster und blickt aus der Kammer im obersten Geschoss der Thomasschule zu Leipzig auf den nächtlich leeren Thomaskirchhof. Ein kaum spürbarer Lufthauch bewegt ein paar Blätter des Lindenbaums. Für die sommerliche Jahreszeit ist es recht kühl - was vermutlich an der mond- und sternenklaren Nacht liegt. Alles schläft: Anna-Magdalena, die Kinder und auch die Internatsschüler im großen Haus. Das tagsüber so turbulente und leider auch hellhörige Gebäude ist ungewohnt still.

Am Fenster steht Johann Sebastian Bach, 38 Jahre alt - seit wenigen Monaten Thomaskantor und Director musices der Universitäts- und Handelsstadt Leipzig, des wirtschaftlichen Mittelpunktes des Kurfürstentums Sachsen.

Einen der begehrtesten Musikerposten Deutschlands hat er ergattert- nach Lehr- und Wanderjahren, die für den mit zehn zum Vollwaisen Gewordenen keineswegs leicht waren, nach mehreren Anstellungen mit vielerlei Erfahrungen - guten und schlechten:

Er denkt an die erste Kantate in der Mühlhäuser Blasius-Kirche - ein fulminanter Erfolg, der ihm zeigte: Das wollte er machen: Musik mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zur Ehre Gottes ...

Er erinnert sich der schmerzhaften Zurücksetzung durch den Weimarer Herzog nach Jahren treuen und hingebungsvollen Dienstes ...

Aber auch an den nicht enden wollenden Applaus des Köthener Hofs nach einer Soiree mit Konzerten im Festsaal des Schlosses denkt er - wunderbar, aber es handelte sich eben "nur" um Unterhaltungsmusik für den Fürsten und seine Entourage ...

Weitere - private - Erinnerungen kommen hinzu:

An den Tod seiner ersten Frau - über die Maßen schmerzlich, besonders wegen seiner dienstbedingten Abwesenheit...

Er denkt daran, wie seine ältesten Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel musikalische Fortschritte machen - aus denen wird einmal etwas ...

Er lächelt. ..

Tiefe Dankbarkeit überkommt ihn, wenn er an seiner jetzige zweite Frau denkt: das Goldstück ...

Das harte Wahlverfahren auf die jetzige Stelle fällt ihm ein: Er weiß wohl, dass er nicht der Favorit gewesen war, gab aber auch hier - wie stets - sein Bestes! Mit weniger darf man sich nicht zufrieden geben. Wer Gott ehren will, darf sich nicht mit Mittelmaß begnügen ...

Er will den hochmögenden Herrn des Stadtrats und den kunstverwöhnten Großstädtern, den Leipzigern, schon zeigen, dass sie ihn zu recht gewählt haben.

Deshalb hat er sich auch dieses ehrgeiziges Ziel gesetzt: Für jeden Sonn- und Feiertag des Kirchenjahres eine Kantate, eine musikalische Predigt schreiben, einstudieren und aufführen - da soll es keinen Rückgriff auf Repertoire geben, kein Mittelmaß ...

Er denkt an die schlafenden Internatsschüler - und seufzt! Mit denen gelingt es fraglos nicht leicht, das Beste zu geben ... Wenigstens sind die Studenten, die er als Instrumentalisten braucht, ihm gewogen und zu Neuem bereit. ..

2 Erster Satz

Sein Blick fällt auf den Schreibtisch ... Ach ja, die Kantate zum 9. Sonntag nach Trinitatis. Heute Nacht soll sie fertig werden. Ja, sie muss fertig werden, damit sie vormittags nach Stimmen abgeschrieben und nachmittags geprobt werden kann.

Er setzt sich auf den Hocker, nimmt das Textblatt zur Hand.

 

Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht.

Denn vor dir wird kein Lebendiger gerecht.

 

Das Sonntagsevangelium, auf das die Textvorlage sich bezieht,ist ihm selbstverständlich geläufig: Was für ein Haushalter ist er? Wie geht er um mit den Talenten, die ihm Gott zweifellos gegeben hat?

Verbirgt er sie? Verschleudert er sie?

"Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht..."

Der Textdichter beginnt also mit einem Dictum, einem Bibelwort aus Psalm 143 - eine neue Idee, aber richtig gut.

Ja, das kann man so machen! Umso mehr, als das Bibelwort so wahr, so grundsätzlich, so gültig ist. Wer kann schon sagen, dass er aus sich heraus gerecht würde vor Gott?

Auch er, Johann Sebastian Bach, der sich so bemüht, der so strebsam ist, erschrickt bei dem Gedanken, jemand könnte sich derart selbst überschätzen ...

Für jeden gilt: Wir sind auf die Hilfe Gottes angewiesen, auf seine Gnade ...

Deswegen muss der ganze Chor das Bibelwort singen - nicht triumphal, sondern fragend, tastend einsetzend, unsicher im Melodieverlauf - nicht mit großen Melodiebögen, sondern gleichsam auf der Stelle tretend in Sekundschritten. Hier gibt es kein Vorankommen, sondern nur bange Ungewissheit - ja, wie man im Vorzimmer eines Fürsten wartet, schwitzend, den Hut in den zitternden Fingern - wie damals in Weimar vor seiner Auseinandersetzung mit dem Herzog. Nur unendlich belastender: keinem Duodezfürsten, sondern Gott selbst gilt es unausweichlich entgegenzutreten - mit nichts, das man vorzuweisen hätte ...

Die Noten füllen die Zeilen - in einer moll-Tonart, das ist klar; Adagio, langsam - Seufzer, Pausen, dazu erklingt immer wieder eine übermäßige Quart, das Teufelsintervall, den Diabolus; ist es nicht teuflisch, dass wir uns vor Gott so scheuen? Dass wir uns wie Adam am liebsten vor Gott erbergen wollen, ihn verdrängen, beiseiteschieben, seinem Blick und seinen unangenehmen Fragen entkommen, einfach davonlaufen?

Ja, wie jeder Mensch kennt Bach das: dreimal vierzehn Takte Qual! Vierzehn - nach dem Zahlenalphabet die Summe aus den Buchstaben BACH ... Bach nickt.

Aber Gott der Herr insistiert - mit dem Nachspiel erstreckt sich die Selbstanklage des Sünders auf 47 Takte - im Zahlenalphabet HERR. Der Herr bleibt, wartend, den Blick auf den Menschen gerichtet...

Und dann: "Denn vor dir wird kein Lebendiger gerecht."

Die Erkenntnis der Unausweichlichkeit, der Unentrinnbarkeit, der Unbeirrbarkeit des göttlichen Gerichts braucht die gesetzlichste, die unbarmherzigste musikalische Bearbeitung: eine Permutationsfuge - einmal begonnen nimmt sie ihren Lauf, durch nichts aufzuhalten, nicht mehr zu beeinflussen. Allegro - in rascher Folge prasseln die Einsätze auf den Hörer nieder - dass es zehn komplette Durchläufe werden, sieht Bach und nickt wieder. Er erinnert sich an die Fragen der Beichtstunden, denen stets die Zehn Gebote Gottes zugrundelagen - und das jedesmal folgende kleinlaute "Ich habe gesündigt." Der Federkiel jagt bisweilen kratzend über das Papier.

Was für ein Eingangssatz für die Kantate! Erschütternd in seiner Trostlosigkeit.

Gibt es denn gar keine Hoffnung für uns Menschen?

Bach schreibt aufgewühlt den letzten Akkord. Er zögert einen Augenblick, setzt dann die Feder erneut an und setzt vor die Tenor- und die Bratschenstimme ein Auflösungszeichen ... Nicht b, sondern h soll es heißen. Kein Schluss in moll, sondern in Dur - kein Ende mit Schrecken, sondern ein Hoffnungsschimmer, ein kleines Licht am Ende des Dunkels ...

3 Zweiter Satz

Bach blickt auf das Textblatt.

 

Mein Gott, verwirf mich nicht,

indem ich mich in Demut vor dir beuge,

vor deinem Angesicht.

Ich weiß, wie groß dein Zorn

und mein Verbrechen ist,

dass du zugleich ein schneller Zeuge

und ein gerechter Richter bist.

Ich lege dir ein frei Bekenntnis dar

und stürze mich nicht in Gefahr,

Die Fehler meiner Seelen

zu leugnen, zu verhehlen!

 

Ein Rezitativ, das nochmals die scheußliche Situation des Sünders vor dem unbestechlichen Auge Gottes darstellt. Bach vertont es auf knappen Raum nach allen Regeln der musikalischen Deklamatorik: Gott erhält den Spitzenton, himmelhoch thront er über dem Menschen, der Zorn wird mit einer unbarmherzig insistierenden Tonfolge gemalt, die Gerechtigkeit Gottes erhält eine bestätigende Abkadenzierung - Ja, so ist es.

Aber: Welcher Stimme gibt Bach dies zu singen? Dem Alt, der Stimme des Glaubens, des Vertrauens.

und zur Mitte hin ändert sich die Stimmungslage des Textes:

"Ich lege dir ein frei Bekenntnis dar,....."

Wie heißt es doch in den Beichtstunden?

Ich nehme Zuflucht zu deiner unergründlichen Barmherzigkeit, bekenne dir, Gott, meine Schuld und bitte dich um dein Erbarmen."

Ja, gerade so reagiert der ungerechte Haushalter im Sonntagsevangelium.

Die Gefahr, die Fehler, das Leugnen - all das malt Bach harmonisch; aber ebenso gibt es wieder einen Dur-Schluss, noch deutlicher hörbar als vorangegangenen Eingangssatz.

4 Dritter Satz

"Der Generalbass ist das Fundament aller gottgefälligen Musik. Wo dies
nicht beachtet wird, ist's nichts als ein teuf
lisches Geplärr und Geleier."

Bach schmunzelt - so hat er es erst vorige Woche seinen Kompositionsschülern ins Heft diktiert.

Nun sollten sie sehen, was er damit meinte - als ein feines Exempel 'gewissermaßen.

 

Wie zittern und wanken

der Sünder Gedanken,

indem sie sich untereinander verklagen

und wiederum sich zu entschuldigen wagen.

So wird ein geängstigt Gewissen

durch eigene Folter zerrissen.

 

Er lässt also für die Sopranarie den Bass weg - ohne festes Fundament malen die Streicher in unablässigen Repetitionen das Herzklopfen und Zittern, das die Gedanken der Selbstanklage des Sünders vor Gott auslösen. Dazu gleichsam ein Klageduett der Vokalstimme und einer Oboe - mit immer wiederkehrenden Klagefiguren im Sopran, mit schmerzhaften Tonfolgen auf "geängstigt Gewissen" und quälenden Spitzentönen auf "Folter".

Das Gottesgericht findet, so weiß Bach aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer (2,15), als Kampf der Gedanken in uns Menschen selbst statt.

Wir, wenn wir ehrlich sind, wissen sehr wohl um unsere Schuld und Vergebungsbedürftigkeit - und darum, dass wir durch nichts entlastet werden können aus uns selbst.

Wir stehen auf schwankendem Grund und drohen unterzugehen.

5 Vierter Satz

Die Kantate ist an der Textmitte angelangt. In der Mitte, das weiß Bach wie jeder Mensch der so Symmetrie-bewussten Barockzeit, befindet sich das Zentrum, das Wichtigste: Ein Bild zeigt hier das Wesentliche, ein Schlossbau hat hier das Corps de Logis, die Wohnung des Fürsten mit Schlafzimmer und dem Thronsaal, zugänglich nur für den innersten Kreis der Geladenen, in der Kirche steht hier die Kanzel, wo Gottes Wort gelesen und ausgelegt wird, und der Altar, wo Gott selbst uns Gemein- schaft mit sich und untereinander anbietet - uns, dem innersten Kreis der Geladenen.

 

Wohl aber dem, der seinen Bürgen weiß,

der alle Schuld ersetzet,

so wird die Handschrift ausgetan,

wenn Jesus sie mit Blute netzet.

Er heftet sie ans Kreuze selber an,

er wird von deinen Gütern, Leib und Leben,

wenn deine Sterbestunde schlägt,

dem Vater selbst die Rechnung übergeben.

So mag man deinen Leib, den man

zum Grabe trägt,

mit Sand und Staub beschütten,

dein Heiland öffnet dir die ewgen Hütten.

 

Bach spielt eine Viertonfolge auf dem Clavichord - drei Töne abwärts, einen aufwärts.

Er schreibt die Töne aufs Papier und verbindet sie mit zwei Strichen zu einem kleinen Bild, einem Symbol ... Es entsteht ein Kreuz.

"Wohl aber dem, der seinen Bürgern weiß ... " lautet der Text, den es zu komponieren gilt.

"Wohl aber dem, der seinen Bürgen weiß, der alle Schuld ersetzet, so wird die Handschrift ausgetan, wenn Jesus sie mit Blute netzet. Er heftet sie ans Kreuze selber an ... "

Per solum Christum - durch Christus allein, durch seine grenzenlose Liebe, die er uns erwies, als er sein Leben für uns gab am Kreuz. '"

Hier ist der Wendepunkt, hier ist die Lösung, die Erlösung.

Wenn wir Jesus Christus vertrauen, dann brauchen wir uns nicht zu fürchten - vor dem Gericht nicht, vor dem Sterben nicht, vor dem Tod nicht.

Denn wir dürfen gewiss sein, dass Gott uns gnädig aufnehmen wird bei sich in den ewigen Hütten - eine Anspielung auf die Stiftshütte, das Heiligtum, den Wohnort Gottes.

Gott ist eben nicht zuerst der Fürst, der Herr, der gewaltige, der unbarmherzige, nicht eine blinde Gerechtigkeit, sondern zuerst der liebende, der leidens- und mitleidensbereite.

Sein Kreuz ist das Zeichen für unsere Rettung.

Also das Kreuz - Bach schreibt weiter, leicht gleitet die Feder.

Natürlich singt der Bass, die Stimme Gottes, die Stimme des Predigers in der Wüste, die Stimme der Verkündigung - in den Oratorien und Passionen selbstverständlich auch immer die Stimme Jesu.

Und natürlich gibt es den Generalbass wieder - deutlich hörbar in der
Violone, den Celli und dem begleitenden Tasteninstrument
.

Hier hat wieder alles festen Grund. Auf ihn ist Verlass. Hier gähnt kein Abgrund mehr,

Wie schrieb Paulus doch?

"Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus." (1. Kor. 3, 11)

Und wer darf auf diesem Grund stehen?

Der innerste Kreis der Geladenen.

Wer gehört zu diesem Kreis?

Bach führt den Generalbass in Oktaven - griechisch dia pason - durch alle Töne.

Nach Gottes Willen sind alle geladen - ohne Ausnahme, ohne Unterschied.

Allen gilt dies Trostwort.

Alle sind eingeladen ihm zu vertrauen.

So sehr neigt sich der liebende dreieine Gott uns entgegen.

Bach schließt den Satz mit einem Es-Dur-Akkord in tiefer Lage - drei Töne, drei b-Vorzeichen, die für das Herunterbeugen stehen, das Herunterbeugen des Dreieinen zu uns Menschen. Aus Liebe.

6 Fünfter Satz

Jetzt fehlt noch eine Arie.

 

Kann ich nur Jesum mir zum Freunde machen,

so gilt der Mammon nichts bei mir.

Ich finde kein Vergnügen hier

bei dieser eitlen Welt und irdschen Sachen.

 

Oh ja, schwärmerisch muss sie sein. Der jubelnde Tenor muss singen - voller Freude über die Erlösung. Mit raschen Streicherfiguren, tänzerisch. Aber halt: Bach zögert kurz ... Gerät das nicht zu schwärmerisch, ist das nicht zu viel Jubel? Könnte das den Leipzigern nicht zu rasch gehen, ein wenig platt erscheinen?

Nicht nur sie grübeln ja so gerne, setzen gerne ihre "Wenns" und "Abers" entgegen, bringen ihre auch so gescheiten Einwendungen vor, zelebrieren ihre Vorbehalte.

Wollen die Universitätsakademiker sich nicht doch lieber mit ihrer Selbsterlösung beschäftigen durch Wissenschaft, eigener Geistesexzellenz?

Und die reichen Kaufleute durch gute Geschäfte, steigende Aktienkurse, stolz auf ihren erwirtschafteten Wohlstand?

Bach lächelt. Ach was, gerade sie haben das Sonntagsevangelium mindestens ebenso nötig wie ich und alle.

Wenn's ans Sterben geht, wenn wir nackt und bloß, ohne alles Wissen, Können und Haben vor Gott stehen, gilt eben nichts als nur das Eine: Gottes Liebe und Erbarmen.

"Kann ich nur Jesum mir zum Freunde machen ... "

Was muss, das muss.

Das muss gesagt werden. Das muss erklingen.

Alles Andere ist Schnickschnack, Firlefanz und Selbstbetrug. Die Feder jagt über das Papier.

"So gilt der Mammon nichts bei mir." Amen. Basta. Punkt. Ein Tintenklecks.

7 Sechster Satz und Epilog

Der Schlusschoral fehlt noch - der übliche Beschluss einer Kantate.

 

Nun, ich weiß, du wirst mir stillen

mein Gewissen, das mich plagt.

Es wird deine Treu erfüllen,

was du selber hast gesagt:

Dass auf dieser weiten Erden

keiner soll verloren werden,

sondern ewig leben soll,

wenn er nur ist Glaubens voll.

 

Das Lied von Johann Rist kennt er gut und mag es sehr. Routinearbeit. Noch zehn Minuten schreiben, dann ist die Arbeit getan. Alles ist still im Haus. Nur auf dem Gang tickt die Standuhr.

Da kommt Bach eine Idee - ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Ein Routinechoral als Dank für das Wunder der Erlösung, des völligen Freispruchs erster Klasse im Gericht?

Nein! Völlig unangemessen!

Statt der üblichen vier Stimmen des Chorals wählt Bach sieben - schwebt nicht der Erlöste im Siebenten Himmel?

Die Streicher lässt er die ungeheure Beruhigung des geängstigten Herzens nachzeichnen - von aufgeregten Sechzehnteln über Achteltriolen, gewöhnliche Achtel und Viertel beruhigt sich der Puls. Das hat er noch nie ausprobiert - das sollen seine Leipziger hören! Musik als die wahre Sprache der Seele - als psychologisches Meisterstück ...

Noch drei Takte!

Bach schaut zum Fenster.

Soeben zeigt sich das erste Morgenrot - und was für eines!

Sanft und unendlich liebevoll streicht es über die Dächer, unter denen die ersten Leipziger Frühaufsteher gerade erwachen.

Da blinkt das Kreuz auf dem Kirchturm der Thomaskirche auf.

"Keiner soll verloren werden, sondern ewig leben soll, wenn er nur ist glaubensvoll."

Die drei letzten Takte - ein unendlich sanftes Ausklingen, wohl eine der schönsten Tonfolgen, die je komponiert wurden. So schön ist der Himmel, so leicht, so hell, so frei!

Bach besieht sich seine Noten - und nickt zustimmend .. Er taucht die Feder ein letztes Mal ins Tintenfass.

SDG schreibt er unter sein Werk - Soli Deo Gloria - Gott allein zur Ehre!
Amen