Paulus-Oratorium wurde zum bleibenden Erlebnis

Heidelberger Studentenkantorei, Heidelberger Kinderkantorei und Chor des St. Raphael-Gymnasiums führten das Stück in der Stadtkirche auf.


Von Robert Wieser



Walldorf. Zu einer hochkarätigen Aufführung des Oratoriums „Paulus" von Felix Mendelssohn Bartholdy hatte der ökumenische Arbeitskreis „Walldorfer Kirchenmusiken" in die evangelische Stadtkirche eingeladen. Nun ist noch immer das Urteil über den künstlerischen und geschichtlichen Wert Mendelssohn Bartholdys vielen Schwankungen unterworfen. Bedauerlich ist dabei, dass eine Ablehnung seiner Kunst von antisemitischen Sentiments und Ressentiments überschattet wird - Richard Wagner und die Nationalsozialisten, zu deren Zeit jede Aufführung seiner Werke verboten war, haben hier ganze Arbeit geleistet. Dabei ging der edle Kern dieses zartsinnigen, frühvollendeten Menschen und Künstlers völlig verloren.

Bedauerlicherweise betrifft diese Missachtung auch heute noch seine beiden geistlichen Oratorien, und zwar den Paulus noch weit mehr als den Elias, der doch zwar nicht allzu häufig, aber doch noch zu hören ist. Musikhistoriker meinen hierzu, dass hinter der Frömmigkeit Mendelssohn Bartholdys im Paulus weder das Ringen des Protestanten Bach, noch die naive Gläubigkeit des Katholiken Bruckner spürbar werde. Es sei etwas anderes, wenn im Paulus der Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme" fast leitmotivisch verwendet werde oder ob Bach Choräle in seine Passionen einflechte.

Man könnte es auch so ausdrücken: Der Paulus ist im Kopf entstanden, er wirkt in seinem Ablauf konstruiert und ist nicht, wie beispielsweise Händels Messias, aus dem Herzen geschaffen. Während der erste Teil mit der Verfolgung des jungen Christentums durch Saulus und dem Damaskuserlebnis seine dramatischen Steigerungen aufweist, wirkt der zweite Teil, in dem die missionarische Arbeit geschildert wird, bis auf den Vergleich der Apostel mit „Hilfsgöttern" des Jupiter doch viel zu sehr akademisch, ohne Herzblut. Da hätte man mehr daraus machen müssen, beispielsweise mit der Flucht aus dem Gefängnis. Übrigens ist zu den Texten zu sagen, dass man sich sehr eng an die Worte der Heiligen Schrift, vor allem der Apostelgeschichte, hielt.

Dabei gibt es zahlreiche außerordentlich tragfähige und gehaltvolle Teile in der Musik, erinnert sei an die Nummern 7, 8 und 13, aber auch Stellen, wo man den Eindruck hat, als sei die Kunst um der Kunst willen komponiert - diese sind erst ganz zum Schluss wirksam. Ganz allgemein darf man fast uneingeschränkt sagen, dass das Oratorium schön, großartig und reich an erlesener, wirkungsvoller Musik ist. Es ist auch so klar und eingängig vertont, dass der Hörer ohne Einstiegshilfen und Erläuterungen mühelos zu folgen vermag.

Umso bedauerlicher war es, dass die Kirche nur eben etwas mehr als halb voll war, obwohl man in den kommenden Jahren hier wohl nicht mehr in den Genuss einer Paulus-Aufführung kommen wird. Wozu man zwar sagen muss, dass sich das Konzertleben gerade vor Weihnachten stark konzentriert. In Wiesloch und Walldorf gab es zum gleichen Zeitpunkt drei kirchenmusikalische Ereignisse. Aber das weiß man doch vorher, so dass man sich eigentlich abstimmen könnte.

Die Realisation war dem großen Vorhaben angemessen. Die Chöre - Heidelberger Studentenkantorei, Heidelberger Kinderkantorei und Chor des St. Raphael-Gymnasiums (Einstudierung Wolf Dittmann) - waren personell großartig besetzt, glänzten in allen Stimmen und waren rhythmisch und dynamisch bei guter Artikulation bestens disponiert.

Man verstand ohne Fehl und Tadel prächtig die verschiedensten Stellungnahmen, die vom Volk verlangt wurden, gültig in die adäquaten sängerischen Ausdrucksformen umzusetzen. Dazu hatte man mit Petra Hoffmann (Sopran), Alexandra Paulmichl (Alt), Hans Jörg Mammel (Tenor) und Thomas Berau (Bariton) ein Solistenquartett gewinnen können, das der großartigen Interpretation des Chors unzweideutig kongenial war und somit ganz wesentlich zum vorzüglichen Gelingen beitrug - man denke nur an die Teile, wo Soli und Chorteile miteinander verflochten sind.

Das Barockorchester „L'arpa festante", das auf Instrumenten der Mendelssohn-Zeit spielte, konnte schon von der stimmungsvoll bewegten Ouvertüre an begeistern. Es war sowohl in der eigenen instrumentalen Ausdeutung des Geschehens ebenso wie in der feinsinnig angepassten Begleitung der Vokalisten jederzeit perfekt. Ein Verdienst des Heidelberger Heiliggeistkantors Christoph Andreas Schäfer, der den Gesamtapparat bestens im Griff hatte und so diese Interpretation des Oratoriums mit allen seinen getreuen Mitwirkenden zu einem bleibenden Erlebnis machte.


RNZ, Ausgabe Wiesloch, 27.11.2003