Ralf Schmid: „CROSS SECTION“ (2008)

 

Meditation zur Johannespassion

 

„CROSS SECTION“ erklingt zwischen den beiden Teilen der Bachschen Johannespassion. An die Stelle der in Leipzig gehaltenen Predigt tritt eine musikalische Reflexion des Geschehenen mit konkreter Bezugnahme auf Bachs Musik sowie neu komponierten und improvisierten Teilen. Saxophon und Piano als Solisten treten nach einer anfänglichen Meditation in Dialog mit dem Barockorchester und entwickeln ihr „Mantra“  mit improvisatorischer Freiheit in der Tonsprache des zeitgenössischen europäischen Jazz.

 

 

 

Der Reiz, sich als Jazzer auf eine barocke Komposition zu beziehen besteht für mich in einer (weit über „Play Bach“ hinausgehenden !) „gefühlten“ Schaffens-Verwandtschaft von Barock- und Jazzmusikern. Essentielle Gemeinsamkeit ist für mich die selbstverständliche Fähigkeit zur musikalischen Spontanität. Sie kann sich zeigen z.B. im „ad hoc“ – Aussetzen von bezifferten Bässen bzw. Harmoniesymbolen, in der Fähigkeit zur Improvisation über Formmodelle oder zur freien Improvisation, in der umfangreichen Kenntnis von Figuren respektive “Licks“ und deren kunstvollem Einsatz. „CROSS SECTION“ sucht daher die Bezugspunkte zu Bach und seiner Musik nicht im vermeintlichen Bachschen „Swing“   sondern entwickelt aus komponierten Teilen heraus eine Plattform für zwei Solisten, die ihre Reflexion der Passion dem Hörer aus dem Moment heraus „mitteilen“ können.

 

„CROSS SECTION“ beginnt mit einer Meditation: ein wiederkehrendes Element („Mantra“) und ein Grundton („Chant“), der erdet und verbindet sind Ausgangspunkt für Komposition und Improvisation. Ist mit der wiederkehrenden Tonfolge „C-A“ (als Hommage an den Auftraggeber) nur eine „technische“ Verbindung zu den Gebräuchen des Barock hergestellt wird der Bezug zu Bachs Musik im folgenden reharmonisierten Choralthema konkret.

 

Für Bach als Improvisator und Komponist war die Reharmonisation, u.a. der immer wiederkehrenden Choralthemen eine ähnlich wichtige Praxis und künstlerische Ausdrucksform wie sie es für den Jazzimprovisator und –komponisten in seiner Auseinandersetzung mit den Standard-Themen des Jazz ist. Diese oben angesprochene „Schaffens-Verwandtschaft“ hat mich angeregt, den Choral „Wer hat dich so geschlagen“ in meiner Musiksprache zu reharmonisieren und, in zwei Teile geteilt, an zentrale Punkte von „CROSS SECTION“ zu stellen.

 

Aus dem ersten Choral-Teil heraus entwickelt sich ein Saxophon-Solo, das sich über dem sein anfängliches Mantra weiterentwickelnden Piano immer mehr steigert und dabei von vom Dirigenten quasi improvisiert eingegebenen „Wolken“ des Orchesters (vergleichbar den „Backgrounds“ in der Big Band – Solosection) unterstützt wird. Der Teil mündet in die zweite Choralhälfte, hier improvisiert der Saxophonist weiter und beendet sein Solo mit dem Ende des Chorals.

 

Die anschliessende ruhige Passage musikalisiert ebenfalls ein Phänomen aus dem Bereich der Meditation: das „hinter-die-Stille-Hören“. Sie reflektiert nahe am Geräuschhaften den Eingangschoral der Bachschen Passion. Rückte im ersten Teil von „CROSS SECTION“ das Saxophon als Solist aus der Meditation in den Vordergrund ist es nun das Piano, das aus dem Urprungsmantra heraus sein Solo entwickelt. Wiederum von frei dirigierten Orchesterelementen begleitet steigert der Pianist seine Improvisation und endet erst mit dem Ende des ersten Chorals aus dem zweiten Teil der Johannespassion „Christus der uns selig macht“.

 

Die Formteile von „CROSS SECTION“ sind also: Meditation - Choral - Solo - Choral - Meditation – Solo.

 

Ralf Schmid